Fanprojekte-Netzwerk hilft Ukrainern bei der Flucht

Wir möchte euch auf eine Kooperation der Kolleg*innen aus dem Fanbetreuungsteam bei der Euro 2012 aufmerksam machen. Neben Kolleg*innen aus Jena, Rostock, Lübeck, HSV, Schalke und Berlin waren noch die KOS und zwei Journalist*innen damals dabei und heute involviert. Danke!

Morgen kann die jüngere Schwester von Gleb wieder in die Schule gehen und Gleb hat einen Verein in der Nähe gefunden…

https://www.op-online.de/sport/kickers-offenbach/ofc-goll-und-fanprojekt-netzwerk-helfen-ukrainern-bei-flucht-91383325.html

OFC: Verwaltungsratsmitglied Goll und Fanprojekt-Netzwerk helfen Ukrainern bei Flucht

02.03.202216:33

Nach mehrtägiger Flucht vor dem Krieg hatte der elfjährige Gleb nur einen Wunsch: Er wollte sich das OFC-Spiel gegen Kassel ansehen. Im ukrainischen Trikot durfte er den Ball ins Stadion tragen. Ein bewegender Moment.
Nach mehrtägiger Flucht vor dem Krieg hatte der elfjährige Gleb nur einen Wunsch: Er wollte sich das OFC-Spiel gegen Kassel ansehen. Im ukrainischen Trikot durfte er den Ball ins Stadion tragen. Ein bewegender Moment.© Hübner

Volker Goll, der bei Kickers Offenbach im Verwaltungsrat sitzt und einer der Macher des OFC-Fanmagazins Erwin ist, hat eine ukrainische Familie bei sich aufgenommen.

Offenbach – Fußball verbindet und er sorgt für etwas Ablenkung in schwierigen Zeiten. Das zeigen nicht nur die vielen Sympathie-Bekundungen in den Stadien für die Ukraine, sondern auch der Fall des elfjährigen Gleb. Dass dem Talent von Dynamo Kiew die Flucht aus der von Russland überfallenen Heimat gelang, ist auch einem länderübergreifenden Fanprojekt-Netzwerk zu verdanken.

„Die Familie hatte Glück“, sagt Volker Goll, Verwaltungsratsmitglied der Offenbacher Kickers, bei dem Gleb mit seiner jüngeren Schwester, der Mutter und der Oma untergekommen ist. Papa Eugen musste in der Ukraine bleiben – wie alle Männer bis zum Alter von 60 Jahren. Das hat auf der Flucht vielerorts teilweise zu emotionalen Szenen geführt, weiß Goll: „Kinder klammerten sich an ihre Väter. Es war dramatisch.“

Gleb und seine Familie waren mehrere Tage unterwegs, erst per Bahn in der Ukraine, dann 30 Stunden per Bus von Ost-Polen bis nach Frankfurt. „Den letzten Teil haben wir von hier aus gemanagt“, erzählt Goll. „Freunde und unser Fanprojekt-Netzwerk haben dabei geholfen.“ Auf diese Weise wurde ein polnisches Busunternehmen aufgetrieben und bezahlt.

Kickers Offenbach (OFC): Verwaltungsratsmitglied erzählt von Aufnahme einer ukrainischen Familie

„Wir waren zum Glück vorbereitet, standen bereits seit Wochen telefonisch in Kontakt, weil wir das Gefühl hatten, dass die Situation sehr kritisch werden könnte“, berichtet Goll. So konnten Gleb und seine Familie Kiew schon am Tag des Kriegsbeginns verlassen. „Die Kinder haben zwar die Sirenen gehört, aber zum Glück nicht das erlebt, was die anderen gerade erleben.“

Goll, der 17 Jahre bei der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) arbeitete, zu den Machern des OFC-Fanmagazins Erwin gehört und 2012 als OFC-Vizepräsident kandidiert hatte, lernte Glebs Vater Eugen 2012 bei der EM in der Ukraine kennen. „Weil er Deutsch kann, unterstützte er die dortige Fanbetreuung“, erzählt der 60-Jährige, der 2013 privat in die Ukraine reiste: „Ich wollte das Land, das mich fasziniert hatte, kennenlernen, habe eine große Rundfahrt gemacht und auch Eugen und dessen Familie in Kiew besucht.“ Gleb war damals zwei Jahre alt.

Kickers Offenbach (OFC): Verwaltungsratsmitglied pflegt Kontakte in Ukraine

Vor ein paar Jahren folgte der Gegenbesuch in Deutschland. „Eugen ist Sportlehrer, aber die verdienen dort fast nichts. Es geht alles für Essen drauf. Sie können sich sonst nichts leisten und sollten einfach mal Urlaub machen.“ Es gab unter anderem in Offenbach eine Stadiontour und für Gleb einen OFC-Pullover aus dem Fanshop.

Nun ist die Familie wieder bei Volker Goll zu Gast, ohne Vater Eugen, auf unbestimmte Zeit und aus unerfreulichen Gründen. Den OFC-Pullover musste Gleb in Kiew lassen. Lediglich für seine Trainingssachen war Platz. Und auch direkt nach der Ankunft drehte sich bei ihm sofort alles ums Thema Fußball. Er wollte wissen, wann die Kickers spielen. „Ich sagte: Heute!“, berichtet Goll. „Und er fragte: Gehen wir hin?“ Letztlich durfte er sogar den Spielball ins Stadion tragen und stand bei der Schweigeminute mit dem Schiedsrichterteam und beiden Mannschaften am Anstoßkreis.

Sein Vater hatte zunächst Bedenken geäußert. „Das Gefühl, dass es seiner Familie gut, anderen aber schlecht geht, beschäftigt ihn“, sagt Goll. Man habe aber gemeinsam zum Wohle des Jungen entschieden, dem jede Ablenkung gut tut. „Er muss viel verarbeiten. Wenn er sich die Zeitung anguckt, stellt er viele Fragen. Wenn er malt, sind das keine Fußballwappen wie früher, sondern ukrainische Landkarten. Und beim Google-Übersetzer nutzt er nicht mehr die russische, sondern die ukrainische Variante.“

Kickers Offenbach (OFC): Volker Goll berichtet von Belastungen für ukrainische Familien

Auch, dass der Vater in der Ukraine bleiben musste, ist eine große Belastung. „Dadurch, dass man ständig telefonieren kann, wird das etwas aufgefangen“, sagt Goll und stellt klar: „Die Männer werden nicht, wie vermutet, von der Armee zwangsrekrutiert. Sie müssen aber dort bleiben. Eugen ist nun in der West-Ukraine und hilft dabei, eine humanitäre Katastrophe abzuwenden.“ Goll, der sich ehrenamtlich bei den Grünen engagiert, unter anderem als Vorsitzender des Bezirks Unterfranken, versucht, ihn dabei über seine Kanäle zu unterstützen. Zumal die Flucht beschwerlich sei. „Familien sind tagelang unterwegs zur Grenze und stehen dort bei Minusgraden bis zu zwei Tage in der Schlange. Da kann man froh sein, dass keiner gestorben ist.“

Goll hat die Ukrainer als ein Volk kennengelernt, das zum Westen gehören und in Frieden leben will. Die von Putin als Begründung für den Angriff genannte Durchsetzung des Landes mit Nazis sei eine Lüge. Zwar gebe es auch in der Ukraine Rechtsextreme, aber die haben es nicht ins Parlament geschafft. „Die meisten Leute sind weltoffen und aufgeklärt. Sie wollen aus der Armut raus. Viele kommen nur als Selbstversorger über die Runden.“

Gleb ist diesen Problemen erst mal entflohen. Er träumt davon, Profi-Fußballer zu werden. Am liebsten bei Dynamo Kiew. Falls die Situation das nicht zulässt, dann vielleicht bei Kickers Offenbach. Vor ein paar Jahren absolvierte er ein Probetraining im Leistungszentrum. „Er war körperlich unterlegen, hat aber viel Spielintelligenz“, so Goll. Und das Gefühl, vor Zuschauern im Stadion zu stehen, kennt er nun auch. Dem elf Jahre alten Jungen geht es den Umständen entsprechend gut. „Gleb und seiner Familie wird geholfen, vielen anderen noch nicht in diesem Maße“, betont Goll. Die Ukraine-Hilfe benötige insgesamt Geld. Jeder könne einen Beitrag dazu leisten. (Christian Düncher)